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Urzelnzunft Sachsenheim e.V.

Sachsenheim im Kreis Ludwigsburg, die nordöstlichste Fasnetbastion in der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, wurde, durch Umsiedlung nach dem zweiten Weltkrieg, die neue Heimat der Siebenbürger Sachsen aus dem früheren Marktflecken Agnetheln. Seit 1965 haben die Urzeln in Sachsenheim ihre neue Heimat.

Der Urzelnbrauch und seine Geschichte

Der Urzelnbrauch steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den handwerklichen Zünften. Die Urzeln traten als Beschützer und Begleiter beim „Laden forttragen“ vom alten zum neugewählten Zunftmeister / Gesellenvater auf. 1689 wurde in Agnetheln zum ersten Mal der „Mummenschanz der Zünfte“ als Vorgänger unserer Urzeln erwähnt. Das „Laden forttragen“ organisierte jede Zunft allein. 1911 beschlossen alle Zünfte, eine gemeinsame Parade (Umzug) zu organisieren. Den Umzugshauptmann sollte immer die stärkste Zunft stellen, welche damals die Schusterzunft mit über 200 Meistern war. Durch die Wirren des Krieges fand 1941 die vorläufig letzte Parade statt. Nach dem Krieg blieb dieser Brauch in Agnetheln bis 1969 verboten. 1965 haben 13 Agnethler Sachsen, als Urzeln verkleidet, zum ersten mal diesen Urzelnbrauch auf den Sachsenheimer Straßen gezeigt. Von Jahr zu Jahr wurden es immer mehr Urzeln, so daß schließlich 1971 die erste eine kleine Parade in Sachsenheim organisiert werden konnte. Seit 1994 werden diese Paraden mit allen Brauchtumsfiguren der Zünfte jedes Jahr durchgeführt.
Am 01.02.1978 wurde die Urzelnzunft Sachsenheim als Gastzunft und am 17.01.1987 als Vollmitglied in die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte aufgenommen.

Der Name Urzel

Etymologisch einwandfrei ist das Wort Urzel nicht geklärt. Da das Häs der Urzeln aus Stoffresten besteht, die im Agnethler Dialekt „Urzen“ genannt werden, kann der Name Urzeln von hier abgeleitet worden sein. Mit dem Urzel wird auch eine mutige Frau namens Ursula in Verbindung gebracht. Eine Sage beschreibt, daß diese Frau zottelverkleidet, peitschenschwingend und schellenrasselnd, aus der belagerten Agnethler Kirchenburg gestürmt sei und habe so Agnetheln von den erschrockenen Türken befreit. Zu Ehren der Ursula könnte der oder die Urzel, als Beschützer entstanden sein. Dem Urzelnbrauch wird auch das Vertreiben von Dämonen und bösen Geistern, sowie das Austreiben des Winters zugeordnet.

Sachsenheimer UrzelDas Häs

Der Urzelnanzug oder das Häs ist aus grobem Leinenstoff gefertigt. Unzählige schwarze Tuchlappen (früher Reste-Urzen ) werden in Querreihen so aufgenäht, daß die weiße Unterlage des Anzuges bei Bewegung, durchschimmert. Vor das Gesicht kommt eine bemalte Maske aus feinem Drahtgeflecht die den Urzel unkenntlich macht. Die Maske wird, zusammen mit einem ebenfalls mit schwarzen Tuchstreifen besetzten Kopftuch, mit Fell eingefaßt. Dieses bedeckt die Schultern und endet auf dem Rücken mit einem bodenlangen Zopf aus Hanf.

Um die Hüfte hat der Urzel einen breiten Gurt, an dem 1 – 2 große Glocken befestigt sind. Eine Peitsche aus Leder – die Korbatsch – mit einem Schmiß aus Hanf, eine Quetsche aus Eschenholz für Krapfen und eine Rätsche, vervollständigen die Ausrüstung des Urzels. Zur Erkennung trägt jeder Urzel, vorne und hinten, eine Nummer. Da die Urzeln in Parten (Gruppen) auftreten oder laufen, sind sie zusätzlich durch gleiche Partensymbole erkennbar.

Die Traditionsgestalten

Da die Trägerschaft bei der Entstehung dieses Urzelnbrauches das Handwerk mit seinen Zünften und Bruderschaften war, sind die entstandenen dazugehörigen Traditionsfiguren aus der Verbindung zu den damaligen wichtigsten Agnethler Berufen zu verstehen.

Der Paradehauptmann führt den Umzug mit den Traditionsfiguren an. Sein Häs besteht aus einem weißen Hemd mit bunten Streifen und einer schwarze Hose, mit Goldborten an der Außennaht. Ein Marderhut mit bodenlangen Borten und weise Handschuhe vervollständigen die Bekleidung des Hauptmanns. Zur Ausrüstung des Hauptmannes gehören noch, ein Degen den er in der linken Hand trägt und ein Stab mit Borten in der Rechten. Bei Vorführungen fordert der Hauptmann mit seinem Stab die Urzeln zum Lärmen (Stab oben) oder zur Ruhe (Stab unten) auf.
Der Hauptmann wird bei Paraden stets von zwei Engelchen (Schutzengel) begleitet. Deren Kleidung ist identisch mit der des Hauptmanns. Nur die Kopfbedeckung ist ein Dreispitz und in der Hand trägt jedes Engelchen ein mit Gold besticktes Fähnchen.

Das Schneiderrößchen mit dem Mummerl sind die Traditionsfiguren der Schneiderzunft. Das Rößl, Roß und Reiter in einer Gestalt, wird von einer möglichst kleinen Person dargestellt. Umgeben von einem Holzgestell verkleidet mit bodenlangen farbigen Tuch, und einem ausgestopftem Pferdekopf an der Stirnseite, entsteht der Eindruck, daß der Reiter auf einem Pferd reitet. Der Reiter trägt eine Mardermütze.
Das Mummerl, die zweite Gestalt in diesem Gespann, wird von einer großen schlanken Person dargestellt. Ihr Oberkörper ist mit einem langen, frei herabhängenden weißen Hemd bedeckt. Die weise Hose hat schwarze Borten. Mit einer kleinen Peitsche drängt das Mummerl das Rössel zu einem menuettähnlichen Tanz der von beiden vorgeführt wird.

 

Die Kürschnerzunft besitzt gleich zwei Symbole. Die Kürschnerkrone besteht aus einem radähnlichen Untersatz, der mit vier Füchsen mit je einem Marder im Maul bestückt ist. Die Krone wird in Umzügen ständig gedreht, so daß die Füchse in Bewegung bleiben. Die zweite Traditionsfigur der Kürschnerzunft ist der Bär und sein Treiber. Ein Mann kleinerer Statur wird in ein richtiges Bärenfell eingenäht, in dem er die ganze Zeit eines Urzelntages verbringt. Der Bärentreiber trägt eine Fellmütze und Weste. Er animiert durch Trommelschläge den Bär an der Kette zum Tanz.

Sachsenheimer Bär mit Treiber

 

Die Reifenschwinger sind die Vertreter der Faßbinder-, Küfer- oder Böttcherzunft. Weises Hemd, schwarze Kniebundhose, rote Strümpfe, rote Mütze und um die Taille einen roten Gürtel mit einer faßähnlichen Schnalle, bilden die Kleidung dieser Artisten, die in Ihren Küferreifen pyramiedenförmig gestapelte, volle, Weingläser kunstvoll durch die Luft schwingen.

Der Urzelntag

In der alten Heimat Agnetheln fand der Urzelntag nach den Zunfttagen statt und diente dazu, die Zunftlade vom alten zum neugewählten Zunftmeister / Gesellenvater zu begleiten und zu beschützen. Die Urzelnzunft Sachsenheim hat diesen Brauch der neuen Heimat angepaßt und führt ihn, mit allen Traditionsgestalten, Paraden und Vorführungen bei dem Bürgermeister und Stadtpfarrer wie in der alten Heimat fort.

Die Parade
Eine kleine Gruppe von Peitschenschwingern (Pletschern) kündigt die Parade an. Eine Blaskapelle führt die Gruppe mit den Brauchtumspflegern an. Eine größere Gruppe von Urzeln bildet eine Ordnungspart, die die Gruppe mit den Traditionsfiguren begleitet und beschützt. Sie fassen das Peitschenende des nächsten Urzel und bilden so eine Kette (Viereck) um die Traditionsfiguren. Nicht zu vergessen die Zunftlade mit den Zunftunterlagen, die Hauptsache der zu Ehren diese Parade entstanden ist. In dem von Urzeln gebildeten Viereck führt der Hauptmann mit seinem Begleitschutz -den Engelchen- die Parade an. Es folgt die Zunftlade, getragen von Männern in alter Agnethler Bürgertracht, dem Dolman, mit rotem Schnurgürtel und Mardermütze oder breitem Filzhut. Es folgen die Traditionsfiguren.
Nach der Parade werden die Urzeln auf den Straßen aktiv. Sie nehmen Passanten in Ihre Peitsche machen mit diesen ein Tänzchen und verteilen Krapfen aus der Quetsche.
Partenweise machen die Urzeln Privatbesuche. Beim Betreten des Quartiers trägt der Partenführer zur Begrüßung folgenden, alt überlieferten Spruch vor:

Wir wünschen Glück in diesem Haus,
Wir treiben mit Schelle und Peitsche
Die Sorgen und den Ärger aus.
Unsere Lieder und Witze kann jeder hören.
Und daß wir Euch besuchen kommen,
Beweist, daß wir Euch ehren.

Im Quartier werden Lieder gesungen, erzählt und Witze gemacht. Auch eine leibliche Stärkung wird nicht vergessen. Beim Verlassen des Hauses erhalten die Urzeln neue Krapfen für ihre Quetsche.
Um 17 Uhr ist das närrische Treiben zu Ende und die Urzeln ziehen sich für den Urzelnball ab 20 Uhr um. Der Urzelntag fand in Agnetheln 3 Wochen nach dem 6-ten Januar (Heilig drei König) statt. In Sachsenheim ist der Fasnetsamstag als Termin festgelegt worden.